GROSSES, HELLGRÜNES TROPFEN IM KOPF

Notiz zu Zeichnungen von Margit Krammer

Von Birgit Schwaner

 

Schuhe, Blüten, Lippen, Tropfen, Köpfe. Bäume, geträumt, mit Laub aus schneeweißen Wolken. Kleine Häuser mit schiefen Dächern, und Fenstern wie Augen, ohne Mund. Rote, geschlossene Lippen, die fallen. Wie Blätter. – Das "wie" ist ein nützliches Wort der Beschreibung. Ein Scharnier für übereinander gefallene Bilder, Eindrücke. Die zu etwas Neuem verschmolzen sind. Einem neuen Bild. Einem weiteren, letztlich unauflösbaren Rätsel –

als das, genau besehen, jede geglückte Metapher übrigbleibt. Und weiter zu denken gibt.

 

Metapher – das Wort kommt vom griechischen "metaphora" und bedeutet auf Deutsch "Übertragung".

Salopp gesagt, geht es dabei um die Verbindung zweier sprachlicher "Bilder", Begriffe. Die einander erweitern – indem sie zusammengezogen werden. Eine Verdichtung. Und wesentliche Technik der Literatur. Besonders der Lyrik. Die Augen der Häuser. Gedankentropfen. Propellerblüte. Gedächtniskerze. Lippenblatt und Wolkenbaum ...

 

Margit Krammers Zeichnungen könnte man gut als poetische Bilder beschreiben. Nicht unbedingt, weil sich die Künstlerin, wie sie sagt, gern von "Literarischem" anregen läßt, um "meine eigene Bildwelt entstehen zu lassen. Bilder im Kopf, Erinnerungsbilder, Traumbilder, Innenschau, Gedankengebilde, die kein reales Auge brauchen." Vielmehr erinnert die lakonische Verknappung und Konzentration, die in diesen auf den ersten Blick so heiteren Zeichnungen geschieht, an die Form der Metapher. Wo ständig vertauscht wird, um sichtbar zu machen.

Zum Beispiel, Menschen und Häuser. Wie in der Zeichnung "Seventeen Identities", bei der man sich vorstellen kann, daß siebzehn kleine, orange Häuschen sich über einen grünen Teich beugen und im Wasser spiegeln.

 

Sie haben keine Türen. Und jeweils zwei Fenster, auf gleicher Höhe. Gucklöcher, Augen. Eindeutig: die winzigen Häuser sind Lebewesen. Menschen, Gespenster? Spielt keine Rolle. Als "Identities", Identitäten bieten sie vielleicht – wie Hauswände – Schutz. Oder erzählen hier sogar von menschlichem Schutzbedürfnis und dem Irrglauben, es durch Besitz und Abgrenzung zu beruhigen. (Jedem sein Eigenheim, und seine Einsamkeit). Aber man kann weder hinein, noch hinaus. Sie sind stumm, schauen nur ... eins wie das andere. Die "Identities" sehen sich zum Verwechseln ähnlich, wie Masken. Auf einem anderen Bild warten sie – diesmal in abgestuften Rot- und Rosatönen – zu zweit oder dritt im Grünen. Sie hocken auf roten, gebogenen Linien (Hügel?) und schauen uns an. Man kann auch an spitze Zähnchen denken. Fast eine Spur unheimlich – aber komisch.

 

Margit Krammer ist eine Meisterin der Vereinfachung. Mit wenigen, hell leuchtenden Farben (Pastellkreide, Buntstift) und wenigen, oft wiederholten Motiven gelingen ihr Zeichnungen, die in ihrer Aussage so simpel wie vertrackt sind, so klar wie rätselhaft, deutlich wie absurd, heiter wie tragikomisch. Jede eine auch piktogrammatische Zusammenfassung eines Gedankens ... der eben ins Bild gerückt wurde. Und oft über die schwarze "Rahmen-Linie" hinauswill, als sei das Gezeichnete nur ein Ausschnitt der Welt, die weiterreicht ... bis zu uns.

 

"Gedanken 1": Ein Kopf in Rosa, durch den große, hellgrüne Tropfen fallen. In Serie, doch einzeln zählbar –

wie oft bei Margit Krammer. Die Tropfen fallen, und gäbe es keinen unteren Bildrand, sie fielen wohl immer weiter nach unten. Zum Mittelpunkt der Erde vielleicht. Große hellgrüne Gedanken, jeder ein vergehender Lichtpunkt. Das Gesicht hat keine Augen. Die Zeichnung ist eine Art Querschnitt durch einen Kopf. Gedankentropfen? Ja, vielleicht bleibt nicht mehr. Bei allem Pathos, mit dem Menschen Ideen präsentieren – nicht mehr als das. Und ein Kopf, der lächelt. Wobei die Lippen, eine Art langgezogenes Herz, an Blätter erinnern, die auf einem anderen Bild Margit Krammers fallen, nach unten. Mit spitzen Enden. Wie Buntstiftspitzen.